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Werner Eicke-Hennig veröffentlichte etwas Neues
vor 4 Wochen (bearbeitet)
Der Irrtum von der „atmenden Wand“ (Teil 5)
Die Wasserdampfdiffusionsberechnung fokussierte den Blick auf den Tauwasserausfall in der Wand. Aber was bedeuteten die Zahlen für den Wasserhaushalt einer Wand? Klar ist, die Höchstwerte der Diffusionsmengen dürfen nicht überschritten werden, aber wenn die Berechnung z. B. 999 g Tauwasser pro m² für eine Ziegelwand ergibt und der Abstand zum Höchstwert nur noch 1 Gramm beträgt? Beruhigung bringt die Umrechnung der rechnerischen Tauwassermenge auf die Feuchte des Bauteiles. Bei einer Ziegelwand liegt die üblicherweise anzutreffende „baupraktische Feuchte“ (heute „Gleichgewichtsfeuchte“) bei 1 Masse-%. Eine 38 cm dicke Vollziegelwand hat bei einer Rohdichte von 1800 kg/m³ ein Flächengewicht von 684 kg/m². Eine errechnete Tauwassermenge von 0,999 kg/m² erhöht die Bauteilfeuchte also um nur 0,1 % (0,999/684). Da schafft jeder Schlagregenguss eine Feuchteanhebung auf 6-10 Masse-% oder besitzen Vormauerschalen in Norddeutschland Feuchtewerte bis 14 Masse-% und trocknen doch immer wieder aus. Fände keine Austrocknung statt, so wäre die Ziegel-Sättigungsfeuchte von 20 Masse-% durch die jährliche Kondensatmenge von 999 g/m² bei der Wand nach 200 Jahren erreicht. Ein erhöhter Wassergehalt von 10 Masse-%, wie er in den Wandaußenzone für wenige Tage nach Regenfällen oder in Wänden von früheren Waschküchen vorkam, erreichte die Wand durch das Kondensat von 999 g/m² und Tauperiode nach 100 Jahren.
Das Beispiel zeigt, wie vorsichtig die Grenzwerte in der DIN 4108 gesetzt sind. Diese Grenzwertbetrachtung zum Anlass für eine Ablehnung bestimmter Dämmstoffe und eine baumystische Diskussion über atmende Wände zu nehmen, zeigt die noch immer mangelhafte Durchdringung unserer Gesellschaft mit den Naturwissenschaften.
Völlig übersehen wurde in der Debatte eine Formel, die im Teil 5 der DIN 4108 im Kapitel „11. Diffusionsberechnungen“ seit 1981 steht. Die „Wasserdampf-Diffusionsstromdichte“ ist nichts anderes als der Feuchtedurchgang, wie er im üblichen Zustand von Bauteilen stattfindet – ohne Tauwasserausfall. Damit wird jene Entfeuchtungsleistung beschrieben, die man mit dem Ruf nach „atmenden Wänden“ suchte. Dass sie nicht entdeckt wurde offenbart, wie ungelesen unsere Normen in der Regel doch bleiben und vielleicht auch – dass man nicht wissen wollte, wie gering die Diffusionsmengen sind.
Die Regel ist im Anhang zu einem kleinen EXCEL-Tool verarbeitet, für dessen Bedienung nur der Sd-Wert des Bauteils benötigt wird. Das Blatt enthält bereits ein Beispiel. Den Sd-Wert kann man z.B. mit dem Programm ubakus ermitteln, bei dem die Schichteingabe besonders einfach ist oder man rechnet mit dem im anhängenden Tool enthaltenen Berechnungsblatt (3. Reiter). Einzutragen sind vom Nutzer auch die Feuchteverhältnisse innen und außen vom Bauteil. Dazu gibt es eine selbsterklärende Tabelle auf dem Berechnungsblatt (2. Reiter). Hierbei sind die Temperaturen frei wählbar, es macht jedoch Sinn, wenn die mittlere Außentemperatur der Heizperiode gewählt wird, die je nach Standort zwischen 6 und 8 °C liegt. Der abgelesene Sättigungsdampfdruck (100 % rel.F.) muss noch mit der üblichen winterlichen relativen Luftfeuchte außen/innen multipliziert werden, also 0,8 außen und 0,5 für innen.
Die Bilder 1-2 zeigen verschiedene Diffusionsstromdichten für eine Mauerwerkswand und eine Fertighauswand mit diffusionshemmender Schicht auf ihrer Innenseite (PE-Folie üblicherweise). Bei 5.760 Stunden Heizperiode diffundieren bei der ungedämmten 38 cm dicken Vollziegelwand, mit Sd-Wert von 2,75 m nur 0,076 g/m² pro Stunde oder für ein EFH mit 130 m² Nettowandfläche 57 Liter Feuchtigkeit über die ganze Heizperiode nach außen, während im gleichen Zeitraum im Haus eine Feuchtemenge bis zu 1800 Liter Wasser freigesetzt wird. (Bild 1) Eine typische mehrschichtige hölzerne Fertighauswand mit 0,2 mm dicker Polyethylenfolie als innerer diffusionshemmender Schicht hat demgegenüber einen Sd-Wert von rund 22 m. Hier beträgt die Diffusionsstromdichte „nur“ 0,009 g/m² und Stunde oder 7 Liter Wasser diffundieren pro Heizperiode durch die Wand mit 130 m² Bauteilfläche. (Bild 2) Die geringe Diffusionsmenge hält das mehrschichtige Bauteil trocken und schadenfrei. Auch gibt es in Fertighäusern keine erhöhten Raumluftfeuchten. Diese beiden Beispiele sollen uns zeigen: Diffusion ist keine gewünschte Eigenschaft von Bauteilen, sondern eine potenzielle Gefahr für Tauwasser und Bauschäden.
Die Mengenanteile der Diffusion durch die Wand von 0,4 % bis 3,1 % an der Feuchtebelastung der Raumluft in Gebäuden während der Heizperiode zeigen: Wer sich auf die Dampfdiffusion durch Wände als Lüftungsmechanismus verlässt, kann sich auch Mund und Nase zuhalten und die Atmung seiner Haut überlassen. Zur aktiven Lüftung z.B. über das Fenster gibt es keine Alternative.