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Werner Eicke-Hennig veröffentlichte etwas Neues
vor 4 Wochen (bearbeitet)
Der Irrtum von der „atmenden Wand“ (Teil 4)
Erst 1981 bekam die DIN 4108 einen Teil 3, der den Wasserdampfdurchgang durch Bauteile behandelt. Die nach 1945 an den neuen Bauweisen und -stoffen aufgetretenen Feuchteschäden waren zu diesem Zeitpunkt bereits durch „Dampfbremsen“ und „Dampfsperren“ in Fertighauswänden, Flachdächern und unter Steildächern entschärft. Das neue Rechenverfahren schaffte als DIN vor allem Rechtssicherheit. Es entstammte einem Verfahren, das der Thermodynamik-Professor Glaser für Kühlhäuser entwickelt hatte. Deren ganzjährige Innentemperatur von – 18 °C entsprach jedoch kaum den Wohnbedingungen für das es eingesetzt werden sollte.
So entschied sich die Normkommission DIN 4108 mit ihren „Randbedingungen“ für Wohn- und Nichtwohngebäude für einen Crashtest: Man definierte eine Tau- und eine Verdunstungsperiode und legte die Innentemperatur mit 20 °C, aber die Außentemperatur in der Tauperiode mit -10 °C für zwei Monate am Stück fest. Im dreimonatigen „Sommer“, der Verdunstungsperiode, durfte das Bauteil bei 12 °C auf beiden Bauteilseiten rechnerisch wieder austrocknen. Die Innenluftfeuchte von 50 % war für die Tauperiode eher ein hoher Wert auf der „sicheren Seite“. Einige Randbedingungen wurden in einer späteren Ausgabe der DIN 4108 abgemildert.
Die nun beginnenden Wasserdampfdiffusionsberechnungen von Bausachverständigen und Ingenieurbüros wurden durch die zeitgleiche Einführung der Personalcomputer erleichtert. Bauteile wurden fortan als feuchtetechnisch „zulässig“ oder „unzulässig“ qualifiziert, obwohl die Norm eine solche amtlich aussehende Beurteilung nicht vorsah, sie war keine staatliche Verordnung.
Zeitgleich mit dem neuen „Wasserdampfdiffusionsberechnungsverfahren“ spielte nach der Energiekrise 1974 eine neue Baukonstruktion eine größere Rolle: Die außen oder wahlweise innen gedämmte Wand, aus Kostengründen überwiegend mit dem Kunststoff Polystyrol gedämmt. Dieses „Wärmedämmverbundsystem“ wurde eine der ersten Konstruktionen, die mit „Glaser“, wie das Verfahren bald hieß, berechnet wurden. Bei den damals geringen Dämmdicken von 3-4 cm Polystyrol und dem häufigen Kunststoffputz errechnete sich eine Tauwassermenge bei Dämmung einer 38 cm dicken Vollziegelwand von 179 Gramm/m². Bei einer Neubauwand aus porosierten Leichthochlochziegeln, fiel das Ergebnis mit 266 Gramm/m² und Tauperiode noch höher aus: Man hatte eine Null erwartet.
Was nun? Es begann die Verteufelung dieses Dämmsystems als die „Wandatmung“ behindernd. Wo lagen die Gedankenfehler? Denn die nunmehr 60 Jahre WDVS-Praxis zeigten solche Tauwasserschäden nicht. Auch wiesen Wohnungen mit Polystroldämmung auf den Außenwänden keine höheren Luftfeuchten auf.
Was hatte man übersehen?
Erstens: Die DIN 4108 ist ein „Nachweisverfahren“. Die berechneten Tauwasser- und Verdunstungsmengen dienen nur dem Nachweis, dass sie die in der Norm ebenfalls enthaltenen Höchstwerten einhalten. Diese Grenzwerte liegen bei monolithischen mineralischen Wänden bei immerhin 1000 Gramm Tauwasser pro m² und Tauperiode, die in der Verdunstungsperiode wieder austrocknen müssen.
Zweitens: Die berechneten Werte sind nicht als real zu erwartenden Feuchtemengen misszuverstehen. Und genau das geschah 1981. Man sprach von „Tauwasserausfall“ wo es um rechnerische Tauwassermengen ging, die in der Realität nie anfallen.
Drittens: Bei Bauteilen mit “ausreichendem Wärmeschutz nach DIN 4108 Teil 2” entfällt die Tauwasserberechnung. Man hätte Wände mit WDVS also nicht rechnen müssen. Dies war im Normkapitel 3.2.3 festgelegt und schloss Kunststoffputze mit einem Sd-Wert unter 4 Metern ein, einen Wert, den sie nicht erreichen. Heute umfasst das “Ausnahmenkapitel” fast alle Außenbauteile.
Viertens: Die Norm hatte den Mechanismus des Wasserdampfdurchgangs durch Bauteile nicht erklärt. Die Erwärmung jedweder Moleküle führt zu ihrer erhöhten Schwingungsintensität (Brownsche Bewegung). Da Wasserdampf ein Gas ist, dessen Moleküle sich frei im Raum bewegen können, bewirkt ihre Bewegung im Winter eine Strömung durch Poren der Baustoffe von der feuchteren Innenraumluft zur trockeneren Außenluft (auch umgekehrt). Dieser Potenzialausgleich wird als Diffusion bezeichnet. Der Potenzialausgleich selbst ist nicht berechenbar, deshalb hatte Prof. Glaser den „Dampfdruck“ als Hilfsgrösse für die Berechnung herangezogen, nicht ahnend, welches Missverständnis daraus entstehen sollte. Der Begriff „Wasserdampfpartialdruck“ wurde zum meistzitierten Wort aus der DIN 4108 und es entstand der Glaube, ein mechanischer Druck befördere die Wassermoleküle von innen nach außen. (Bild 1) Daher auch der Begriff „Dampfsperre“. Demgegenüber liegt auf beiden Seiten eines Außenbauteils derselbe Luftdruck an und der Wasserdampfteildruck ist Teil dieses Luftdrucks (Bild 2, erstes Bild unten). Dieser „Irrglaube“ hat jahrzehntelang die Verbesserung des Wärmeschutzes unserer Bauten behindert.
Fünftens: Aller Anfang ist schwer, mit dem neuen Kriterium „Wasserdampfdiffusion“ konnte die Bauwelt 1981 nicht richtig umgehen. Denn den Titel „dampfdicht“ erhielt das Polystyrol ganz zu Unrecht. EPS ist nicht dampfdichter als Fichtenholz, Buchen- und Eichenholz sind sogar 5-6-mal dichter. Um das falsche Bild von der „Absperrung“ aufzubrechen, änderten spätere Ausgaben der DIN 4108 diese Begriffe in „diffusionsoffen“, „diffusionshemmend“ und „diffusionsdicht“, mit jeweils eigenen Wasserdampfdiffusionswiderstandszahlen.
Sechstens: Da 1981 ff. immer nur Dämmdicken bis 4 cm berechnet wurden, bemerkte man nicht, dass der berechnete Tauwasserausfall bei Polystyrol ab einer Dämmdicke von 6-8 cm auf null zurückgeht. So brachte man sich um die Erkenntnis: Dämmung hält Bauteile trocken und beseitigt den bestehenden Tauwasserausfall in außen verputzten ungedämmten Wänden.
In der nächsten Folge klären wir die Frage, um wieviel Masse-% sich die Feuchte einer „Normalwand“ aus 38 cm Vollziegeln erhöht, wenn der rechnerische Tauwasserausfall 999 Gramm/m² beträgt, also 1 Gramm unter Höchstwert. Solche praktikablen Einschätzungsgrößen fehlen bisher. Außerdem lernen wir die Wasserdampfdiffusionsstromdichte nebst Excel-sheet kennen, mit der wir die „Atmungsfrage“ auf leichte Art klären können.
Bernd Lüttmann-
Bemerkenswert. Hatte jüngst mir beigefügtes Foto heruntergeladen, was den Vergleich Fensterlüftung vs “Wandatmung” schön beschreibt.
(Musste leider eine pdf daraus machen, weil das jpg nicht hochgeladen wurde)-
@dietrich-matten Danke für die Bereicherung Dietrich, die Wirklichkeit ist noch härter, bei 130 m² Außenwand passieren unter günstigsten Bedingungen nur rund 60 Liter Wasser in Dampfform die Außenwände eines Hauses. Da die Luftfeuchte im Winter unter 50 % liegt, dies aber Normannahme ist und Anstriche und Tapeten nicht mitgerechnet wurden, also eher noch weniger. Der nächste Beitrag enthält eine EXCEL-Tabelle zum selber rechnen.
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